Zur Geschichte der Sankt Sebastiani Bruderschaft
Bürgermeister, Schöffen und Rat der Stadt Ratingen haben am 23. Juni 1433 öffentlich bekannt, dass „die Schützen” eine löbliche Bruderschaft aufgerichtet und bestätigt zu Gottes Lob und zur Ehre guten Sankt Sebastianus! Oft ist gefragt worden, ob in diesem Stiftungsbrief nicht das schon Jahre oder gar Jahrzehnte andauernde Bestehen der Bruderschaft bestätigt wird, sie also in Wirklichkeit noch älter sei.
So hat auch Heinz Büter in der Vorbemerkung zu seinem im Frühjahr 1958 erschienen Büchlein „Aus der Geschichte der Sankt Sebastiani Bruderschaft Ratingen anno 1433” dargelegt, dass es natürlich auch im 13. Und 14. Jahrhundert schon Ratingen Schützen gegeben habe, aber noch keine Bruderschaften nachzuweisen seien. Auch der Heimatforscher Eschbach könne seine Ansicht, die Sankt Sebastiani Bruderschaft habe schon vor 1433 bestanden, nicht belegen.
Diese Bruderschaft war – nach Arnold Dresen – eine von 15 Bruderschaften in Ratingen als eine Vereinigung der „alten Schützen“, die „allein alle Stürme der Zeit überdauert hat und heute noch besteht“.
Wir handeln also konsequent, wenn wir bei unserem Jubiläum von der urkundlich nachgewiesenen Gründung im Jahre 1433 ausgehen; beziehen wir Ratinger uns doch auch bei den Stadtjubiläen auf die Stadterhebungsurkunde vom 11. Dezember 1276, und nicht auf eine mögliche Gründung Ratingens vor etwa 1300 Jahren.
Wechselvoll wie die Geschichte der Stadt verlief auch das Leben der Sankt Sebastiani Bruderschaft Ratingen.
Für die Zeit von 1433 bis 1587 sind keinerlei Schriftstücke überliefert. Wir können aber annehmen, dass die „Brüder“ die Normen der Stiftungssatzung beachteten und danach lebten. Drei Vorschriften galten insbesondere:
- Am Sebastianustag (20. Januar) arbeiteten die Mitglieder nicht und besuchten drei heilige Messen.
- Sie nahmen beim Ableben eines Bruders oder einer Mitschwester am Totenamt und am Begräbnis teil.
- Für das Schießen auf den Papagei (auf der „Schützenrute“) hielt man die Armbrust in Ordnung und nahm vorher an dem Übungsschießen teil (auf der „Schützenbahn“). Dazu legten die aktiven Mitglieder „die Kogel“ an. Das war ein den Kopf, den Hals und die Schultern bedeckendes Kleidungsstück nach Art einer Kapuze.
Die „Schützenrute“ lag am Ende der heutigen Straße „Am Schützenbruch“, wo bis vor bis vor etwa 30 Jahren noch das Haus „An de Schötteuut“ stand. Die „Schützenbahn“ war in der Nähe des Obertores vor der Stadtmauer am sog. „Juddelenke“ (Judenlindchen).
Die aktiven uns passiven Mitglieder unterstanden den Schützenmeistern, die vom Bürgermeister ernannt wurden. Dafür erhielten die Schützen eine jährliche Unterstützung (z.B. 1591/92 zehn Gulden) und Preise für das Schießen. Die besten Schützen wurden durch Befreiung von den Lasten der Einquartierung und vom Wachtdienst belohnt, ebenso der „Schützenkönig“. Schon aus den ältesten Berichten wissen wir, dass der König von der Bruderschaft einen Geldpreis erhielt – lange Zeit waren es 6 Reichstaler. Die „Pfänderschützen“ erhielten als Schießpreise Gegenstände aus Zinn.
Auch die Bergischen Landesherren gaben Geldzuwendungen und nahmen entweder selbst am Schützenfest teil oder ließen sich durch Herren des Adels (z.B. den „Hauser“) oder den Richter des Amtes Angermund vertreten. Dafür erhielten sie von den Schützen wertvolle Unterstützung in Ihren zahlreichen Fehden.
Im 16. Jahrhundert allerdings kam es zu einem Verfall diese Brauchtums, da sich allerlei Schützengilden bildeten, die sich „weniger ernsten Aufgaben, als vielmehr der Geselligkeit widmeten“. Herzog Johann der III. Verbot daher 1533 in einem Vertrag mit dem Erzbischof und Kurfürsten von Köln „alle Trinkgelage und Ausschreitungen der Schützen“.
Trotzdem lebte der Schützengeist wieder auf: Zwischen 1587 und 1611 trafen sich die Schützengilden der Bergischen Städte Ratingen, Gräfrath, Düsseldorf, Gerresheim, Solingen und Elberfeld zum Verbandsschießen. In Ratingen fand diese Treffen am 30. Juni 1588 und im Jahr 1602 statt, ein Zeichen dafür, dass man in den Vorjahren das „Fähnlein gewonnen“ hatte.
Die schweren Zeiten im Dreißigjährigen Krieg und in den darauffolgenden Jahrzehnten führten u.a. dazu, dass das „Königsschießen“ eingestellt wurde. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts kam neues Leben in die Sankt Sebastiani Bruderschaft Ratingen. So übersetzte man 1742 den alten Stiftungsbrief aus dem Brabantischen ins Deutsche bzw. in die damals gebräuchliche Umgangssprache. Man ergänzte gleichzeitig die Satzung durch neue Bestimmung.
So wurde z.B. als Tag des Schießens auf den Papagei der erste Sonntag nach Pfingsten bestimmt. Geschossen von nun an mit einer Büchse. Der „Brudermeister“, wie der Schützenmeister jetzt genannt wurde, legte eine Liste an, wie die Brüder nacheinander zu schießen hatten, damit keiner dem anderen vorgezogen wurde (die alte Ratinger Tradition, dass jedes Mitglied König werden kann!). Zuwendungen für den König wurden festgelegt, der jeweilige König aber auch verpflichtet, am Ende seines Königsjahres eine Silberplatte zu stiften.
Die Mitgliederzahl stieg von 38 wieder auf mehr als 300. Man nahm die alten, guten Gewohnheiten wieder auf, wozu auch die Beteiligung an der „Gottestracht“ gehörte, obwohl das nie ausdrücklich in der Satzung stand. Die Gliederung innerhalb der Bruderschaft hatte man der beim Militär üblichen angepasst. Neben dem 1. und dem 2. Brudermeister, die ab 1783 von der Generalversammlung gewählt wurden, gab es bei den aktiven Schützen schon seit dem 17. Jahrhundert Offiziere und Unteroffiziere. Sie erwarben ihr Amt, indem sie es ansteigerten.
In den schweren Jahren von 1789 bis 1814 konnten wegen der Flüchtlinge aus Belgien und Frankreich oder später der französischen Besatzung nicht alle Feste gefeiert werden. Ab 1811 wurde aber eine ganz neue Aufgabe begonnen: die Hilfeleistung in Krankheits – und Sterbefällen. Welche Bedeutung diese „Kranken- und Sterbelade“ hatte, beweisen die Mitgliederzahlen. Von 34 im Jahre 1811 stiegen sie über 178 in Jahre 1830 auf einen Höchststand von 649 im Jahre 1860. Unter dem Ehrenmitgliedern waren z.B. 1844 auch viele angesehene evangelische Mitbürger.
1880 allerdings waren es wieder nur 74 Brüder und 17 Witwen. Mit der Verabschiedung des Krankenversicherungsgesetzes in Preußen (1883) verlor die Kasse ihren Sinn; ab 1890 konnte dann kein Krankengeld mehr ausgezahlt werden.
Die Satzungen zu dieser „Lade“ sind in neue Satzungen für die Bruderschaft im Jahre 1842 eingearbeitet worden. H. Büter hat dies in der oben erwähnten Schrift ausführlich dargestellt.
Die Schützenfeste wurden im 19. Jahrhundert ziemlich regelmäßig gefeiert, aus verschiedenen Gründen gab es natürlich auch einzelne Ausfälle. Fortschrittlich zeigte man sich 1859 mit dem Beschluss, keine Vorstandsposition zu verkaufen. Vergebens aber bemühte man sich zunächst, den Brauch abzuschaffen, dass ein Mitglied für ein anderes Schießen durfte. Es war sogar möglich gewesen, für einen anderen den Königsschuss abzugeben. Erst am 16. Juli 1897 beschloss der Vorstand, dass „jedes Mitglied auf den Königsvogel schießen muss“.
Die „Schützenbahn“ hatte man 1855 an den „Katholischen Armenvorstand“ abgegeben, der das Grundstück den Schwestern des „Gasthauses zum Hl. Geist“ zur Verfügung stellte. Man erhielt dafür ein Grundstück im Oberdorf, das aber 1862 wieder an die Stadt verkauft wurde – zur Verbreiterung des Weges nach Eggerscheidt.
Die „Schützenrute“ hingegen war 1775 und 1833 gründlich repariert worden ; 1884 jedoch wurde das „Vogelschiessen“ hier verboten. Dreimal schoss man auf dem Scheibenschießstand der Bürgerschützen, hinter der Wirtschaft Straßen an der oberen Wallstraße. 1883 schaffte man zum Jubiläum noch eine neue Fahne an; aber nach fünf Jahren begannen „sieben magere Jahre“, in denen es kein Schützenfest gab, so dass mit einem Mitgliedstand von nur 28 Aktiven das Jahr 1895 ein absolutes „Tief“ in der Geschichte der Bruderschaft darstellte.
Bei der Sebastianusfeier und in der Generalversammlung im Januar 1896 entschloss man sich zu einem neuen Anfang und zur neuer Organisation.
Nach intensiver Werbung kam es in einer neuen Generalversammlung am 25. März 1896 zur Gründung von zunächst drei Kompanien, die gemeinsam die Traditionen der alten Sankt Sebastiani Bruderschaft Ratingen wieder aufleben lassen wollten.
Noch in der Versammlung entstanden im Abstand von wenigen Augenblicken
1. die Wilhelm-Tell-Kompanie;
2. die Grenadier-Kompanie, in der die alte Schützentracht, schwarzer Gehrock mit weißer Hose und Zylinder mit Kränzchen beibehalten wurde; und
3. die Reserve-Kompanie.
Bis zum 1. Mai kam noch als 4. Kompanie die Hubertus-Kompanie dazu. Im Jahre 1904 bildeten sich als 5. Kompanie die Hohenzollern-Kompanie, die später in Bürger-Kompanie umbenannt wurde.
1926 trat als 6. Formation ein Reiterkorps zusammen.
Als 7. Kompanie wurde im Jahre 1927 die Jäger-Kompanie gegründet.
In großer wirtschaftliche Notzeit, nämlich 1931, trat als 8. Kompanie die Andreas-Hofer-Kompanie der Bruderschaft bei. Am 1. Januar 1954 als 9. Kompanie die Suitbertus-Kompanie
und schließlich als 10. Kompanie die Johann-Wilhelm-von-Berg-Kompanie.
Neue Satzungen wurden am 4. Juli 1897 von der Regierung genehmigt. Die Mitgliederzahl stieg bis 1914 wieder auf 300. Für das „Vogelschießen“ brauchte man einen größeren Platz, zumal man diese Volksfest für die gesamte Bevölkerung öffnen wollte.
Man erwarb an der Bahnstrasse Für 3000 DM ein Grundstück (ca. 2 ¼ Morgen groß) und errichtete dort für 1200 DM einen Schießstand. Dieses Grundstück wurde am 1. April 1917 an die „Daag“ für 6000 DM pro Morgen verkauft; 1914 bis 1919 hat es kein Schützenfest gegeben.
Die Satzungen von 1897 dürften im wesentlichen in der Neufassung vom 15. Juni 1911 aufgenommen sein. Wesentlich daraus erscheint die Herabsetzung des Eintrittsalter auf 18 Jahre (in früherer Zeit meist 24 Jahre); der Bewerber durfte aber „nicht den sozialdemokratischen Anschauungen huldigen“. Bestimmungen über Kranken- und Sterbehilfe fehlen nunmehr völlig. Diese spezielle soziale Tätigkeit der Bruderschaft hat also formell knapp 100 Jahre bestanden.
Der Schießsport wird offensichtlich nur noch beim Schützenfest ausgeübt, das man zunächst mit der Ratinger Kirmes am 3. Sonntag nach Pfingsten, ab 1902 dann am 1. Sonntag im August feierte.
Vorstandsbezeichnungen ändern sich teilweise: Der „Präses“ heißt jetzt „Vorsitzender“, der „Sekretär“ „Schriftführer“. „Brudermeister“, „Oberst“, „Major“ und „Hauptmann“ bleiben. Alle Ämter können nicht mehr angesteigert werden, vielmehr werden sie durch Wahlen besetzt. Als besonders bemerkenswert stellt H. Büter heraus, dass der §1 dieser beginnt: „Zweck der Bruderschaft ist, durch inniges Zusammenwirken und Zusammenhalten aller Stände Bürger- und Gemeinsinn zu fördern…“, d.h. die alte „Bruderschafts“- Gesinnung wird vor allem gefordert.
Ein Jahr nach Kriegsende, im November 1919, fand wieder eine Generalversammlung statt, die Feste wurden von 1920 bis 1939 in gewohnter Weise gefeiert; nur 1923 und 1930 gab es kein Schützenfest. Es gab 1926 wieder mehr als 500 Schützen, die ihr Fest – nachdem es fünf Jahre am Kaiserplatz gefeiert worden war – auf dem zunächst gepachteten, dann gekauften Gelände zwischen Brückstraße und An der Loh gestalten konnte.
In einer Satzungsänderung, die am 25. Juni 1932 beschlossen wurde, zeigt sich ein gefährliches Eingehen auf den „Geist der neuen Zeit“. Im §7 hieß es da: „Angehörige des israelitischen Glaubens könne in Zukunft nicht mehr Mitglied werden.“ Allerdings wurde auch der § 9 erweitert: „Die Ausschließung erfolgt, wenn das betreffende Mitglied staatsfeindliche und gottlose Anschauungen vertritt.“
Der Auftrieb, den das Jubiläum zum 500jährigen Bestehen herbeiführte, wurde durch die Bestrebungen der Nazizeit erheblich gebremst. Doch blieb der Zusammenhalt in der Bruderschaft weitgehend gewahrt, der Vorstand erhalten, wenn auch aus dem Vorsitzenden ein „Führer“ wurde. Dieser berief alle bisherigen Vorstandsmitglieder in den „Führerring“ oder den „Beirat“. Die kirchlichen Feiern wurden nur noch inoffiziell besucht, aber nahezu in gleicher hoher Anzahl.
Um Pokal-, Übung- und Königsschießen weiter durchzuführen zu können, trat man den „Reichsbund für Leibesübungen“ und später dem „Deutschen Schützenbund“ bei. Dem Schießsport wurde in dieser Zeit größere Aufmerksamkeit geschenkt als in früheren Jahrzehnten; noch bis 1943 wurden die besten Schützen ermittelt.
Der Widerbeginn nach dem 2. Weltkrieg – 1940 bis 1946 gab es keine Schützenfeste – schien zunächst noch schwieriger als der nach dem ersten.
Vier Kompanien hatten in den durch Bomben getroffenen Vereinslokalen ihre Fahnen verloren, sämtliche Säle in der Innenstadt waren zerstört, vor allem gestattetet die Besatzungsmacht zunächst keinerlei Zusammenkünfte.
Aber schon 1947 konnte – bis 1950 wieder am „Kaiserplatz“ – das Schützenfest stattfinden. Fünf Jahre musste der König seine Schießkunst nach mehr als 200 Jahren wieder mit der Armbrust beweisen. Zum Schützenplatz, auf dem in den Hungerjahren bis 1950 Kleingärtner ihr Gemüse gezogen hatten, konnte man 1951 zurückkehren. Dort schoss man dann neben dem König auch einen „Jungschützenkönig“ aus.
Man schloss sich der „Interessengemeinschaft der Düsseldorfer Schützen“ an, feierte die wichtigsten Feste der benachbarten Bruderschaften mit. Nach einer leichten Krise, verursacht durch einige allzu selbstständig Denkende bei der Gründung einer neuen Kompanie, festigte sich auch wieder das innere Zusammengehörigkeitsgefühl, und so konnte man gestärkt und der guten, alten Tradition bewusst, das Jubiläum des 525jährigen Bestehens begehen.
Gute Beiträge dazu waren auch die Schriften von Heinz Büter „Das Königssilber“ (erschien 1952) und die eingangs genannte zu Geschichte der Bruderschaft aus dem Jahr 1958, die auch als Grundlage für diese Zusammenfassung benutzt worden ist.